Schützt Paleo vor Krebs? – Interview mit Krebsexperte Dr. Rainer Klement – Teil 1

Die Paleo-Ernährung hat viele gesundheitliche Vorteile, einer davon ist die Minimierung des Risikos von typischen Zivilisationskrankheiten. Krebsexperte Dr. Rainer Klement erklärt uns in diesem Interview ausführlich die Bedeutung der Ernährung für die Vermeidung und die Behandlung von Krebs sowie weiteren Zivilisationskrankheiten.

Herr Dr. Klement, Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Einfluss der Ernährung auf die Entstehung und die Behandlung von Krebs. Wie hängen die Ernährung und Krankheiten wie Krebs zusammen?

Bei der Entstehung und Ausbreitung von Krebs spielt der Metabolismus, das heißt der Stoffwechsel, von Zellen eine bedeutende Rolle. In den 1920er Jahren hat Otto Warburg gezeigt, dass Krebszellen sich von normalen Zellen deutlich unterscheiden indem sie auch bei ausreichender Sauerstoffversorgung große Mengen an Glukose aufnehmen und diese zu Laktat abbauen. Im Prinzip passiert das gleiche in normalen Zellen nur, wenn Sauerstoff knapp ist so wie in einer Muskelzelle während einem intensiven 400 m Lauf. Inzwischen gilt es auch als erwiesen, dass der Ganzkörpermetabolismus, also der Blutzuckerspiegel oder die Blutkonzentration bestimmter Hormone wie Insulin, eine Rolle bei der Entstehung und dem Wachstum eines Tumors spielt. Diabetiker und Fettleibige zum Beispiel besitzen ein mehrfach höheres Risiko an vielen Krebsarten zu erkranken und haben bei bestehender Krankheit auch eine schlechtere Prognose. In diesem Zusammenhang spielt wahrscheinlich auch der permanente leichte Entzündungszustand im Körper eine Rolle, denn chronische Entzündungen fördern die Zellentartung und Mutation zur Krebszelle sowie schnelle Zellteilung. Ernährung beeinflusst sowohl den Stoffwechsel auf Zellebene als auch im gesamten Körper und bestimmt sogar, wie bestimmte Gene aktiviert werden. Weiterhin wirkt Ernährung auch auf Entzündungsgeschehen ein. Deshalb scheint es logisch, dass Ernährung auch bei der Entstehung und Ausbreitung von Krebs eine Rolle spielt.

Paleo Krebs Pillen Ernährung

Gesunde Ernährung kann viele Pillen überflüssig machen.

Was sollte man bei der Ernährung beachten um das eigene Krebsrisiko zu minimieren? Welche Rolle spielt hier die Paleo-Ernährung?

Die in Anführungszeichen „richtige Ernährung“ um Krebs zu verhindern scheint es nicht zu geben. Dazu sind alle bisher veröffentlichten Studienergebnisse viel zu uneinheitlich. Vor allem wenn die Diskussion auf einzelne Lebensmittel beschränkt wird, wie zum Beispiel auf rotes Fleisch oder Soja oder fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag, bewegt man sich meiner Meinung nach auf sehr dünnem Eis. Für jede Studie die hier einen schädlichen oder schützenden Effekt nahelegt, findet man eine andere Studie aus der man das Gegenteil ableiten könnte. Noch ungenauer sind Diskussionen um einzelne Inhaltsstoffe bestimmter Nahrungsmittel. Ein häufiges Problem ist, dass aus Beobachtungen von Zusammenhängen auf eine ursächliche Wirkung geschlossen wird, was logisch nicht korrekt ist. Ein Zusammenhang zwischen hohem Fleischkonsum und Krebsrisiko muss doch nicht heißen, dass Fleisch per se das Krebsrisiko erhöht – welche Lebensgewohnheiten haben denn die Leute, bei denen man hohen Fleischkonsum beobachtet, sonst noch? Statistisch sind diese ganzen anderen Faktoren, die sich auf das Ergebnis auswirken, schlecht zu modellieren, sprich kaum zu berücksichtigen. Deshalb sollte man sich eher auf kontrollierte Interventionsstudien und Laborversuche verlassen. Eine spezielle Intervention schützt tatsächlich vor Krebs und verlängert allgemein die Lebensspanne, nämlich unterkalorische Ernährung oder regelmäßiges Fasten bei gleichbleibender Versorgung mit Mikronährstoffen. Das wurde von der Fliege über den Wurm und die Ratte bis hin zum Affen immer wieder eindrucksvoll gezeigt. Die Vermutung liegt nahe, dass unterkalorische Ernährung auch beim Menschen vor Krebs schützen könnte. Und jetzt wird es interessant, denn die Effekte des Weniger-Essens gleichen beim Menschen in vieler Hinsicht der Einsparung von Kohlenhydraten. Wichtig in Bezug auf Krebsvorbeugung scheinen insbesondere ein niedriger Insulin- und Blutzuckerspiegel und mehr Muskel- und weniger Fettgewebe zu sein. Außerdem scheinen gut funktionierende Mitochondrien, die Kraftwerke der Zellen in denen fast alle Energie erzeugenden Abbauwege zusammenlaufen, extrem wichtig zu sein um Zellen vor der Umwandlung in potentielle Krebszellen zu schützen. Die Paleo-Ernährung bedingt fast immer eine Kohlenhydrateinsparung im Vergleich zur normalen westlichen Ernährung. Sie ist außerdem reich an tierischem Eiweiß, das den Muskelaufbau unterstützt und Muskelabbau entgegenwirkt falls man abnimmt. Fleisch und Innnereien liefern wichtige Vitamine und Nährstoffe, die für einen reibungslosen Zellstoffwechsel benötigt werden, vor allem auch ein gutes Funktionieren der Mitochondrien.  Gleiches gilt für viel Obst und Gemüse, die zudem unzählige chemische Verbindungen mit dem Potential enthalten, Entzündungen entgegen zu wirken. Generell würde ich die Paleo-Ernährung als sehr anti-entzündlich charakterisieren, nicht zuletzt auch durch das Vermeiden von Gluten. Sie ist deshalb meiner Meinung nach die bessere Alternative zu lebenslanger Askese um sein Krebsrisiko zu verringern, Alternativ lassen sich über intermittierendes Fasten sehr gute Effekte erreichen.

Ist eine gesunde Ernährung auch dazu geeignet den Heilungsprozess zu fördern bzw. die Krebsbehandlung zu unterstützen?

Ich denke schon, wobei das Wort „gesund“ hier sicher anders zu verstehen ist als wenn es um die Vorbeugung von Krebs geht. Allgemein mag ich die Bezeichnung „gesunde Ernährung“ nicht, denn was „gesund“ ist hängt immer von der individuellen Situation ab. Generell sollte die Ernährung während der Krebsbehandlung nicht entzündungsfördernd sein und den eventuell veränderten Stoffwechsel des Patienten berücksichtigen. Tumore können den Stoffwechsel ihres „Wirts“ tatsächlich verändern, so dass dieser in Richtung eines Diabetikers abdriftet. In diesen Fällen werden die Patienten insulinresistent, das heißt die gesunden Gewebe bekommen Schwierigkeiten, Glukose aus dem Blut aufzunehmen, zu speichern und zu verstoffwechseln. Klinische Studien haben gezeigt, dass solche Patienten eher von einer hohen Fett- und Eiweiszufuhr profitieren. Noch besser könnte in vielen Fällen eine ketogene Diät sein, in der man die Kohlenhydrate bis auf ein Minimum von vielleicht 20-50 g am Tag reduziert. Dadurch erreicht man nach einigen Tagen den Zustand der Ketose, der durch erhöhte Ketonkörperkonzentrationen gekennzeichnet ist, ähnlich wie beim Fasten. Ketonkörper werden bei niedrigen Insulinspiegeln aus Fettsäuren in der Leber hergestellt und dienen den gesunden Geweben wie vor allem den Muskeln und dem Gehirn als „Ersatzglukose“. Sie können von Tumorzellen nicht oder nur bedingt zur Energiegewinnung genutzt werden und manche Studien legen sogar direkte Krebszellen-schädigende Wirkungen nahe. Zahlreiche Mäusestudien haben gezeigt, dass eine ketogene Diät das Tumorwachstum hemmen kann, vor allem wenn sie mit den Standardtherapien Chemo- und Strahlentherapie verbunden wird. Leider fehlen bisher kontrollierte randomisierte Studien, die eine Wirksamkeit beim Menschen belegen, aber inzwischen gibt es viele Fallbeispiele und kleinere klinische Studien die die Sicherheit einer ketogenen Diät belegen und auf einen eventuellen Nutzen hindeuten. Noch effektiver ist wahrscheinlich kurzzeitiges Fasten, zum Beispiel vor einer Verabreichung chemotherapeutischer Medikamente. Allerdings würde ich das nicht bei schon abgemagerten Patienten anraten, hier wäre eine fettreiche Diät sinnvoller.

Welche anderen Krankheitsbilder können Folgen von schlechter Ernährung sein? Was kann Paleo hier leisten?

Dazu würde ich generell alle als Zivilisationskrankheiten bekannte Erkrankungen zählen, insbesondere das metabolische Syndrom mit Diabetes und Fettleibigkeit oder Autoimmunerkrankungen. Immer mehr wird auch die Darmgesundheit als auslösender Faktor solcher Erkrankungen in den Vordergrund gestellt, und ich denke, dass die Paleo-Ernährung gerade hier großes Potential hat. Die Vermeidung von Weizen und anderen Getreideprodukten minimiert zum Beispiel das Risiko eines „Leaky Gut“ und der reichhaltige Verzehr von Obst, Gemüse und fermentierten Lebensmitteln begünstigt ein nicht-pathogenes mikrobielles Milieu.

Inwieweit ist sportliche Aktivität geeignet um die typischen Zivilisationskrankheiten wie Krebs, Diabetes und Herz-Kreislaufprobleme zu vermeiden?

Mit Sport lassen sich einige „Ernährungsfehler“ kompensieren und umgekehrt kann eine gute Ernährung das Fehlen körperlicher Bewegung zu einem gewissen Maße ausgleichen, wenn es um die Vorbeugung dieser Krankheiten geht. Allerdings ist Bewegung für uns essentiell, was man schon daran erkennt, dass bereits nach einem Tag Bettruhe ungünstige physiologische Veränderungen eintreten und die Muskulatur beginnt zu atrophieren, also sich abzubauen. Die negativen Folgen von zu wenig Bewegung sind offensichtlich, wenn man sich den Anstieg oben genannter Krankheiten in den letzten Jahrzehnten ansieht. Die positiven Effekte körperlicher Bewegung sind sehr vielseitig und umfassen gesteigerten Energieverbrauch, Anregung der Entstehung neuer Mitochondrien, Senkung des Insulin- und Blutzuckerspiegels, Muskelaufbau, Instandhaltung der Blutgefäße, Aussendung von entzündungshemmenden Botenstoffen aus dem Muskelgewebe, sogenannter „Myokine“, und positive Effekte auf Psyche und Gehirn. In Bezug auf Krebs ist auch die Aktivierung bestimmter zellulärer Signalketten hervorzuheben, die dem übertriebenen Wachstum und Glukoseverbrauch einer Tumorzelle entgegenwirken.

Vita: Rainer Klement (Jahrgang 1979) studierte Physik in Heidelberg, wo er anschließend am Max-Planck-Institut für Astronomie promovierte und noch zwei Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter arbeitete. Schon während dieser Zeit nutzte er die Möglichkeit sich in das Gebiet der kohlenhydratarmen Ernährung durch Lesen der Originalpublikationen einzuarbeiten. Nebenbei absolvierte er ein Weiterbildungsstudium in medizinischer Physik am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Im Januar 2011 wechselte er in die Strahlentherapie des Universitätsklinikums Würzburg, wo er begann sich intensiver mit der Rolle der Ernährung bei Tumorerkrankungen zu beschäftigen. Dort veröffentlichte er zusammen mit Kollegin Ulrike Kämmerer einen vielgelesenen Übersichtsartikel zum Thema der kohlenhydratreduzierten Ernährung im Zusammenhang mit Krebserkrankungen. Ein weiteres Interessengebiet bildet die strahlenbiologische Modellierung von Normalgewebsreaktionen und Tumorkontrolle nach Bestrahlung. Seit diesem Jahr arbeitet Dr. Klement als Medizinphysiker am städtischen Krankenhaus in seiner Heimatstadt Schweinfurt.

Zu Teil 2 des Interviews

© Anna Hoychuk – shutterstock.com

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Geschrieben von Nico

Nico hat sich mit Paleo360 den Traum erfüllt, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. In seinem Alltag dreht sich sehr viel um Gesundheit und Fitness. Und da er auch ein Genießer ist, darf das Kochen natürlich nicht zu kurz kommen. Wenn die Möglichkeit besteht, verbringt er viel Zeit beim Wandern und Bergsteigen in den nahegelegenen Alpen.
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6 Kommentare

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  1. Niko //

    Sehr gutes Interview! Einige Sachen wusste ich persönlich noch nicht, daher bin ich froh auf diesen Artikel gestoßen zu sein. Paleo ist mit die beste Ernährungsform, um die eigene Vitalität und Fitness zu verbessern. Top

    Viele Grüße
    Niko

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  2. Larissa //

    Ich hab mal Paleo gemacht und musssagen das ich mich damals richtig gut und wohl fühlte, allerdings verlies mich dann irgendwann der gute Geist und ich fing wieder an normal “ungesund” zu essen. Dies führte dazu das ich wieder 5 Kilo zunahm. Jetzt lebe ich ausschliesslich nach PAleo und es ist einfach Phänomenal. ;) LG

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  3. Peggy //

    Guter Artikel, aber schade dass hier immer noch für die schädlichste aller Krebstherapien Werbung gemacht wird. “vor allem wenn sie mit den Standardtherapien Chemo- und Strahlentherapie verbunden wird.”
    Es sollte doch längst bekannt sein, dass Chemotherapie zb, was Studien beweisen, die Mortalität der Patienten erhöht, statt diese zu senken. Dass die umliegenden gesunden Zellen dadurch ebenfalls angegriffen werden und absterben. Dadurch kommt es zb zum Haarausfall. Und dass die verabreichten Medikamente der Chemotherapie extrem krebserregend sind. Nicht umsonst gelten strikte Sicherheitsbestimmungen für die Lagerung und Verabreichung. Weitere Evidenz hierfür ist die verschwiegene Rate, derer die selbst an Krebs erkranken, weil sie selbige Medikamente berufsbedingt jahrelang verabreichten.

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  4. Kire Nomlas //

    Hallo Nico,

    wann gibt’s den zweiten Teil des Interviews?

    grüsse
    K.N.

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